Der Grundstein

Große Geschichten sollten einen pathetischen Beginn haben um den Protagonisten die Chance zu gewähren sich möglichst lange daran erinnern zu können. Nun, pathetisch war die Geburt der Idee sicherlich.
Ähnlich wie alles was ein Eigenleben entwickeln wird, und all unsere Ideen haben das Potential einst lebendig zu werden, so muss auch ein Gedanke zunächst geschützt wachsen bis er bereit ist sich der Realität zu stellen und sich in der Welt zu verbreiten. Manche von ihnen werden zu Dingen die der Menschheit über Jahrtausende hinweg erhalten bleiben, viele von ihnen führen unbeabsichtigt zu schicksalshaften Konstellationen die das Leben vieler Menschen beeinflussen und einige von ihnen verschwinden still und heimlich wieder um als nie gelebter Traum für immer ein ähnliches Dasein zu fristen wie eine Fliege welche soeben mit dem physischen Paradoxon vertraut gemacht wurde dass Züge nicht ruckartig stehen bleiben wenn ein Objekt auf der Windschutzscheibe aufschlägt. Ich glaube es liegt daran dass die Scheiben geringfügig elastisch beschaffen sind, was der Fliege, und damit auch der metaphorischen Idee allerdings nur einen marginalen Unterschied beschert.

Betrachtet man Ideen nun als Kinder unseres Geistes, so ist für die Beziehung zwischen ihnen vor allem Länge und Intensität der Reifung entscheidend. Gemessen an der Zeit meines Lebens benötigte der nachfolgend beschriebene Gedanke nicht nur sehr viel Zeit sondern auch eine unzählbare Menge an Erfahrungen welche nur in seltenen Fällen angenehmer Natur waren. Die meisten hatten etwas damit zu tun dass mir irgendetwas ganz gehörig auf die Nerven ging. Nicht dass wir uns falsch verstehen, ich hatte ein recht angenehmes Leben, ohne jemals ernsthaft materrielle Not leiden zu müssen oder anderweitig um meine Existenz fürchten zu müssen. Ja viele Jahre fühlte ich mich in Deutschland, um konkret zu sagen in Bayern (ettliche von euch dürften wissen warum gerade Bayern so hart zu erdulden ist), sehr sicher und umsorgt. Zumindest Oberflächlich. Aber dennoch war es mir die meiste Zeit verwehrt mich wirklich von Grund auf wohl zu fühlen.                        Alle Angenehmen Aspekte des Lebens hatten einen … merkwürdigen Nachgeschmack. Etwa so wie Süßstoff in günstigen Zitronenlimonaden. Es schmeckt schon nach Zitrone… Aber nach einer Zitrone die aus der Kreuzung einer unreifen Walnuss mit einer Gummiente entstand und dann aufgrund von absoluter ungenießbarkeit mehrere Monate lang in einem Keller vergessen wurde bis ein findiger aber betrunkener Limonadenhersteller…genug von Limonade. Mehr angenehme Aspekte. Und ihr Nachgeschmack. Der Nachgeschmack schmeckte nach dem Gefühl dass nichts so tatsächlich Nachhaltig war und einen tieferen Sinn entbehrte.

Dem Leben fehlt eine gewisse Grundlage auf die sein Sinn baut. Die Antwort auf “Warum geb ich mir das jetzt eigentlich alles?” blieb leider bis dato aus. Natürlich hab ich viele Leute gefragt und auch viel Probiert. Mir wurde zum Beispiel gesagt: “der Mensch definiert sich durch seine Werke”. Das klang zunächst schlüssig. Wenn man nämlich bedenkt dass man als Mensch ja ständig bestrebt ist sich selbst zu erfahren und zu finden, das eigene Leben zu leben, oder auch “seine Mitte zu finden” so ist es klug zu besehen was man bisher so geleistet hat und dadurch festzustellen wer man ist, was man gut kann und auf welches Ziel das in etwa alles hinführt. Also versuchte ich “Werke” zu vollbringen, doch ganz gleich was ich so anstellte, ich konnte keine verwertbare Information daraus ziehen. Warum? Ich weiß es nicht. Vieles was ich gemacht habe, begeisterte andere, schien mir aber ohne Belang oder umgekehrt, was mir sehr bedeutend war, schien sonst niemanden zu interessieren. Leider muss ich auf konkrete Beispiele verzichten, die Beschreibung wäre zu lang und Inhaltslos (ich hab’s probiert!).

Zu meiner Selbstfindung trug dies natürlich nicht sonderlich bei und mir wurde klar: ein Maßstab muss her! Wenn ich meine Taten an denen von anderen Messe wird sich mir schnell erschließen was ich gut kann und woran ich arbeiten sollte (ja, der ein oder andere Sozialpädagoge hat mich langfristig geprägt, danke Frau K!). Praktischerweise bietet unsere Gesellschaft eine immense Anzahl an Maßstäben um wirklich alles in Zahlen und Balken ausdrücken und Vergleichen zu können. Schulnoten, Anzahl der Freunde, Geld, Liebschaften, Geschwindigkeit des Computers, Autos, Urlaubsreisen, Zeugnisse und Beglaubigungen enmass, DVD-Sammlungen, Renditen, Rauscherfahrungen, Tanzstil…etc…etc…etc… Ja wirklich alles aus unserem Leben lässt sich messen und mit anderen Vergleichen und wer in allen Bereichen dann am besten abschneidet hat auch das beste Leben, sehr einfache Rechnung, man muss also nur noch dafür sorgen die bestmögliche “Punktzahl” zu erreichen, dann ist man auch maximalst glücklich und das wiederum ist ja das Ziel des Lebens, möglichst Glücklich und zufrieden mit dem zu sein was man hat und erreichen konnte.

Ein später Dienstag Morgen, irgendwann zwischen Frühling und Sommer auf einer kleinen ruhigen Waldlichtung. Ausser von einigen Insekten die sich an den Hinterlassenschaften von Waldbewohnern erfreuen und einem leichten Wind der in den Zweigen rauscht die kreative Schatten auf den ansonsten mit warmen Sonnenschein gefluteten Waldboden werfen ist nichts zu hören. Ein Vogel auf einem Baum am Rande der Lichtung besieht sich sein Mittagessen nicht ganz ohne Vorfreude, beschließt aber erst nochmal eine Runde zu drehen da er sich sicher war ein Geräusch und Wackeln in den Büschen welche die Lichtung säumten bemerkt zu haben. Der Kopf eines Rehs lugt vorsichtig aus einem fülligen Wachholderbusch und betrachtet für einige Sekunden die Szenerie. Ein Sprung und die sonst so Trägen fliegen stoben auseinander, das Reh hüpft wie von der Terrantel gestochen auf die Wiese, nimmt Anlauf und lässt sich auf den Boden rollen um sofort wieder aufzustehen. Auf diese Weise tobte es einige Zeit über die Grashalme, ungefähr so lange wie ein Reh braucht um tüchtig außer Atem zu kommen. Dann senkte es den Kopf, trank aus einem Rinnsal und knabberte zum Abschluss an der äußerst Verführerischen Rinde des nächsten Baumes. Während es sich auf einem mossbewachsenen Stein niederließ um noch etwas im Halbschatten zu dösen falle ich zurück in die Wirklichkeit. Ein Klassenzimmer der Sozialfos in Giesing, die Stimmung ist gedrückt, ich habe nicht mitbekommen warum, irgendwann zwischen stochastischen Fantastlichkeiten mit denen ich von der Tafel aus konfrontiert wurde und dem einlullendem Vortrag über die Vorzüge des neuen Porsche-ABS-Systems von Richi eine Reihe hinter mir beschloss sich mein Geist wichtigeren Themen zu widmen bis mir ein Porsche mit unglaublicher Wahrscheinlichkeit durch die Lichtung bremste und dabei laute Proteststimmen meiner Mitschüler kausalisierte. Irgendwer stritt sich, irgendwer war sauer, ich versuchte nochmal ein Loch in die Wirklichkeit zu reißen und warf einen Blick auf die Lichtung, doch das Reh war weg. Doch so unspektakulär, ja wohl fast Langweilig für die meisten, sich die Lichtungsszene im Nachhinein darstellte, für mich hatte sie etwas unglaublich beruhigendes.

Warum? Dieses verdammte Reh wirkte so dämlich glücklich! Es sprang wie blöd auf der Wiese rum um dann noch ein häppchen zu fressen und nach der Flucht vor dem Porsche wird es wohl noch etwas für die Insekten zurücklassen und fühlt sich wohl. Es ärgerte mich, es nicht mehr finden zu können. Hätte ihm gerne einige Fragen gestellt. Zum Beispiel wie es sich so gut fühlen kann, immerhin hat es kein Geld, kein Auto, keine Liebschaften, war noch nie im Urlaub, hat keinen Pc, ja verreckt, noch nichtmal ein Abschlusszeugniss! Aber dann chefig auf die Lichtung hopsen. Dummes Hippie-Reh.
Nein, es freute sich schlichtweg daran Leben zu können und hier über die Wiese springen zu dürfen! Es machte sich auch nix aus Noten und aus Geld, auch nicht aus Autos und all dem andren Kram. Ich war neidisch auf die einfachste Weisheit die einem Verstand zugänglich ist: Du brauchst das alles gar nicht, freu dich dass es dich gibt und schau ob die was annehmbares zum Frühstück findest!
Zugegeben, ich bin kein Reh und es gibt ettliche Dinge über die sich wohl auch das Reh freuen würde, wenn es denn etwas damit anzufangen wüsste. Doch die Grundessenz ist deutlich: Der Sinn des Lebens besteht darin sich zu freuen zu leben.
Leider haben sich unsere Maßstäbe verselbstständigt. Was Anfangs den Nutzen hatte die Freude zu vergrößern indem ersichtlich wurde wo ein Mangel bestand setzt uns mittlerweile unter den Druck, Mängel in allen Bereichen auszugleichen, die Meßlatten wuchsen ins unermeßliche, ständig erzielt irgendjemand anders ein besseres Ergebnis, wer nicht ständig dabeibleibt fällt auf lange Sicht aus dem Spiel. Konkurrenz wohin das Auge sieht, immer das Streben besser und damit glücklicher zu sein als der Andere.
Der einfachste und mittlerweile nahezu allumfassende Messbereich ist Geld geworden. Wer davon am meisten hat bekommt am meisten und müsste ergo auch am besten drauf sein.
Es ist mir aber noch zu früh auf die Rolle des Geldes in unserem Leben einzugehen. Vorerst reicht es zu sagen dass auch ich schon viel Geld ausgegeben aber auch welches verdient habe, wenngleich auch einen, das muss ich zugeben, eher geringen Anteil. Fakt ist aber für mich, ganz gleich ob nun verdient oder nicht, erst mal ausgegeben ist die Freude über das Geld im Vergleich dazu wie lange es dauerte es zu verdienen, eher gering. Auch der Besitz von Geld allein verschaffte mir keine große Freude, Menschen ziehen ihre Freude im Umgang mit Geld daraus es in Bewegung zu halten, es muss fließen, sonst ist es ohne Nutzen. Was hilft Geld wenn ich es nicht Ausgebe? Eben.
Den Geldfluss in Bewegung zu halten ist aber extrem Energiezehrend. Zunächst muss es erwirtschaftet werden. Selten ein Akt der großen Freude aber anstrengend. Dann darf man es behalten, das macht zwar kurz Spaß, es ist aber sehr anstrengend dafür zu sorgen dass man es behalten kann, irgendjemand kommt ständig und versucht einem mit mehr oder weniger vertretbaren Wegen die tollen Penunzen wieder abzuluchsen. Da bleibt nur wegsperren. Wird aber auch schnell langweilig. Und dann kann man es ja noch ausgeben. Ja richtig. Wenn man hart dafür gearbeitet hat sollte es doch auch völlig legitim sein dass man sich mal was davon gönnt.
Wie wärs denn mit… sagen wir mal…endlich einem größeren Fernseher? Ha, hau her das Ding, 28″, superhoch auflösend und so flach… Da kann man sich endlich mal seine Lieblingsfilme richtig anschauen. Kann den Darstellern ganz genau zuschauen wie sie für uns Lieben, Lachen, Streiten, Melancholieren und die Welt verändern. Das ist genau das richtige nach einem harten Arbeitstag. Einfach vor die Glotze legen und abschalten, runterkommen, nur daliegen und warten dass die Emotionen durch die magische Scheibe in unser Bewusstsein sickern weil man viel zu erschöpft und gestresst ist vom Tag als dass man noch groß in der Lage wäre noch groß Gefühle zu erleben.

Und genau hier sollte einem die Crux auffallen! Wir verdienen Geld um es für Entspannung, Belohnungen auszugeben, um uns Dinge zu kaufen die uns zufriedenstellen als Belohnung für das Geldverdienen. Doch hätten wir in der selben Zeit nichts verdient sondern einfach nur gelebt, ähnlich dem Reh, wir hätten uns gar nicht selbst entschädigen müssen, sondern hätten selbst gefühlt. oder einfacheres Beispiel: Raucher. Es gibt zig Gründe mit denen der immer wieder neue Kauf dieser Sargnägel rationalisiert wird, im Endeffekt läuft es aber darauf dass man sich vom Stress des Lebens eine kurze Auszeit gönnen möchte, Nikotin, Balsam der Leistungsgesellschaft. Wodurch aber entsteht der Stress? Dadurch dass man dauernd angehalten ist besser zu sein als jemand anders um sich wieder eine kleine Sturmeinheit dieser kleinen Soldaten des Todes leisten zu können.
Solche Anschauungen mögen zunächst eine gewisse Schwarz/Weiß Atmosphäre vermitteln, ich musste für mich jedoch feststellen, die Anzahl an anwendbaren Beispielen für den ewigen Kreislauf von Geld verdienen um es auszugeben um es verdienen zu können um es ausgeben zu können, ist nahezu unerschöpflich was mich logischerweise zu einer sehr Kontrastreichen Einstellung zwingt um meine Idee deutlich zu machen.

Ich denke es sollte ohne noch größere Ausschweifungen möglich sein zu erkennen dass mir die teufelskreisischen Vorgänge einer Leistungsorientierten Gesellschaft zuwider sind und ich mich gerne einfach nur am Leben an sich erfreuen würde. Soviel fürs erste zur Zeugung der Idee, nun zu ihrem Verlauf:

Das was dem Reh widerfahren ist fasst man, so denke ich schlicht in dem Begriff “Freiheit” zusammen. Viele Menschen haben im Lauf der Jahrtausende versucht ihre Freiheit zu bekommen, mal mehr, mal weniger spektakulär. Ich muss sagen, dieser Versuch der Freiheit soll von meiner Seite aus unspektakulär gehalten werden. Ich ziehe nicht mit 50 Tausend Söldnern los um einige mir bösartig erscheinende Städte niederzubrennen, wie das bereits einige taten welche das Wort “Freiheit” irgendwie anders auslegen als ich. Nein, ich habe bereits für mich den Versuch aufgegeben die Welt zu verändern. Will man das heute tun so braucht man viel Geld (man erinnere sich, das mag ich nicht!), oder politische Macht. Ansonsten wird man glaub ich verflixt schnell erschossen. Politische Macht klingt fürs erste sauber, doch wie ich auch bereits lernen musste: jeder Mensch ist käuflich – und mein Preis wäre nicht so hoch. Das klingt nun natürlich dezent anstößig. Ich bin nur schlicht schnell zufrieden, was aber eben nicht heißt dass ich für alles zu haben wäre.
Im Bezug auf Politik jedoch fürchte ich dass ich eben auch zu schnell mit dem Verrat meiner eigenen Ideale wäre, denn bis ich es denn mal einst in eine ausreichende Position geschafft hätte, so wäre so unglaublich viel Zeit vergangen und hätte ich sehr große Anstrengung und Aufregung hinter mich bringen müssen dass ich schnurstracks den Flug buchen würde wenn Herr Industriemagnat mit seinem Geld-Köfferchen im spartanisch ausgerüstetem Büro steht. Dann würde ich zwar irgendwo meinen Lebensabend genießen können aber erstens ist eine steile Politik-Karriere eher unwahrscheinlich und zweitens und vor allem, ich müsste unglaublich viel Anstrengung erdulden um dann letztlich meine Ideale zu verraten. Und das kann’s ja auch nicht sein. Ist für mich zumindest vom jetzigen Standpunkt meiner Auffassung von Ethik und Moral nicht zu vertreten, also warum dann tun?
Soviel also warum die Welt nicht zu verändern ist. Ich möchte nur meinen persönlichen Frieden finden.
Nun, den persönlichen Frieden innerhalb eines Gesellschaftssystemes ist nicht besonders einfach. Zumindest nicht wenn man Frieden mit Leistungs-unwillen verbinden will wie ich. Das führt letztenendes zu einem Leben in Abhängigkeit anderer und mir ist nur wenig unangenehmer wie mich Aushalten zu lassen. Was für einen Sinn ergibt ein Leben das nichts bewirkt aber dafür Ressourcen verbraucht?
Also ist die weitere Konsequenz, raus aus dem System.

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